Heute ist Weltfrauentag oder besser gesagt: feministischer Kampftag – der Tag, an dem jedes Jahr auf die Chancenungleichheit und die mangelnde Gleichberechtigung von Frauen bzw. FLINTA*-Personen aufmerksam gemacht wird. Seit dem ersten Weltfrauentag im Jahre 1911 haben Frauen in Sachen Frauenrechte viel erreicht, doch an vielen Stellen existiert noch immer Ungleichheit, wie z. B. der Gender-Pay-Gap oder in der medizinischen Forschung und der Gesundheitsversorgung. Patriarchalische Strukturen haben tiefe Wurzeln, die bis in die Fiktion reichen.
Deswegen habe ich heute ein paar Tipps zum Schreiben starker, mehrdimensionaler Frauenfiguren für euch im Gepäck.
Bücher mit weiblichen Hauptfiguren werden oft mit „starker Protagonistin“ beworben. Doch was macht eine Protagonistin stark? Ein schwarzer Gürtel im Kickboxen oder eine Kampfflug-Ausbildung sind gute Ansätze um weibliche Selbstbestimmung darzustellen, doch allein machen sie noch keine starke Heldin.
Um zu verstehen, wodurch eine weibliche Figur stark wird, schauen wir uns zunächst an, welche Elemente sie schwächen.
Der Male Gaze und das Patriarchat
Bis zu Beginn dieses Jahrtausends wurde die überwiegende Mehrheit von Bestsellern von Männern geschrieben. Wie auch die Sexualisierung von Frauen in Film und Werbung trägt dies bis heute zur unbewussten Wiedergabe von weiblichen Stereotypen bei. Populäre Medien dienen uns als Inspirationsquelle, beeinflussen aber auch unser Selbstbild. Das betrifft sowohl die eigene Körperwahrnehmung als auch unsere Rolle in einer patriarchalisch geprägten Welt. Und das hat nicht nur Auswirkungen auf die eigene mentale Gesundheit, sondern prägt auch wie Frauen und Mädchen andere Frauen und Mädchen in Realität und Fiktion wahrnehmen.
Der Male Gaze stärkt patriarchalische Strukturen und die Selbstobjektifizierung und wirkt sich negativ auf die Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen aus.
Lenke beim Schreiben daher den Fokus weg von den typischen Merkmalen, die Männer an Frauen wahrnehmen, wie Aussehen, Kleidungsstil und Figur und fokussiere dich stattdessen auf ihre Identität. So verhinderst du eine Reproduktion des Male Gaze in deinem Roman.
Aus dem Male Gaze lassen sich einige nicht mehr zeitgemäße Stereotypen und Klischees ableiten:
- Die Damsel-in-Distress, die gerettet werden muss
- Die Teenagerin, die sich nur für Jungs, Mode und Make-up interessiert
- Die Hausfrau, die dafür lebt, ihren Mann zu bekochen und den Haushalt zu schmeißen
- Das Mauerblümchen, das einen Schönheitswettbewerb gewinnen würde, wenn sie sich nur zurechtmachen und ihre Brille gegen Kontaktlinsen tauschen würde
- Die ständig meckernde und unzufriedene Ehefrau
- Die böse Schwiegermutter
- Die burschikose unangepasste Prota, die nur eine „Phase“ durchlebt und sich am Ende doch dem weiblichen Rollenbild beugt
- Die Kick-Ass Prota, die ein Dutzend Bösewichte im Alleingang verprügelt und anschließend kein bisschen verschwitzt ist und deren Frisur dank einer bekannten Haarspraymarke noch immer perfekt sitzt
- Die sich auf einem Rachefeldzug befindende Femme fatale, die Männer sexuell ausnutzt, bis sie sich in einen verliebt
Vermeide diese Stereotypen beim Entwickeln deiner weiblichen Figuren oder bediene dich ihrer nur um sie aufzubrechen. Klischees sind dazu da, um gebrochen zu werden. Wenn die Damsel-in Distress lernt, sich selbst zu helfen, die Teenagerin erkennt, dass es noch etwas viel Cooleres als Jungs und Mode gibt, und die burschikose Figur ihr Queer Awakening als Butch-Lesbe oder transmasc-Person hat, sorgst du für Empowerment und Vielfalt.
Starke Frauenfiguren schreiben – so gelingt die Umsetzung
- Gib ihnen ein Ziel oder eine Agenda jenseits von Liebe und Beziehung. Das verleiht ihnen mehr Persönlichkeit und verringert das Risiko, dass du dich unbewusst sexistischer Klischees bedienst. Ist deine Figur in einer Beziehung, dann sollte sie eine Identität jenseits davon haben.
- Stelle ihnen eine andere weibliche Figur an die Seite. Dieser Punkt wird oft unterschätzt. Das muss keine enge Freundschaft sein. Selbst kurze Interaktionen wie ein Gespräch mit der Kassiererin, der Postbotin, einer Kundin oder einer Nachbarin geben deinen weiblichen Figuren eine Bedeutung jenseits ihrer Funktion für die männlichen Figuren und machen sie für deine Leserschaft greifbarer.
- Lasse dich von Frauen, die du kennst, inspirieren. Um lebensechte Frauenfiguren zu erschaffen, lohnt sich ein Blick in dein Umfeld oder zu Persönlichkeiten, die du bewunderst. Was fasziniert dich an ihnen? Was sind ihre Geschichten und Schicksale? Was ihre Ängste, Träume und Wünsche? Und dann bringe sie in Situationen, denen sie im normalen Leben niemals ausgesetzt wären.
- Gib deinen weiblichen Figuren emotionale Tiefe durch komplexe Gefühle und zeige, wie sie diese verarbeiten. So widerlegst du zugleich das Klischee, dass Frauen zu emotional seien.
- Mache ein Gedankenspiel: Entferne alle männlichen Figuren aus deiner Geschichte. Haben die weiblichen Figuren noch immer eine Funktion innerhalb der Story? Falls nicht, zeigt diese Übung dir, wo du noch nachbessern kannst.
- Sorge dafür, dass deine weiblichen Figuren ein eigenes Wertesystem haben, das ihre Ansichten und Entscheidungen formt.
- Gibt ihnen mehr Qualitäten als gutes Aussehen. Und vor allem gib ihnen verschiedene Stärken. Selbstbewusstsein, Reflektionsvermögen, Empathie und ein starkes Gerechtigkeitsempfinden oder ein Gebiet, auf dem sie intellektuell herausstechen, sind die Eigenschaften, die wir an starken Figuren bewundern.
- Beschreibe ihr Aussehen auf eine Weise, das deiner Leserschaft einen Eindruck von ihrer Identität vermittelt. So vermeidest du eine unbewusste Objektifizierung.
- Auch starke Persönlichkeiten sind nicht perfekt. Wie sie mit ihren Schwächen umgehen und welche Lehren sie aus ihren Fehlern ziehen, bestimmt ihre innere Stärke. Dadurch wirken deine weiblichen Figuren authentisch und deine Leserschaft kann sich besser mit ihnen identifizieren.
- Und zuletzt noch ein revolutionärer Tipp: Verwandele eine deiner männlichen Figuren in eine Frau, ohne die Charaktereigenschaften zu ändern. Das kann übrigens auch eine Nebenfigur sein. Schau dir an, was das mit meinem Manuskript macht. Erkennst du in der Änderung einen Mehrwehrt?
Die Merkmale starker Frauenfiguren sind also exakt dieselben wie die starker Figuren im Allgemeinen. Doch die Klischees und Stereotypen, mit denen wir aufgewachsen sind und die uns prägen, können uns bei der Umsetzung im Weg stehen. Und dabei verbirgt sich hinter diesen eine ganze Vielfalt von Möglichkeiten, um mehrdimensionale Frauencharaktere zu entwerfen und eine Story zu schreiben, die Leser*innen begeistern werden.
In diesem Sinne wünsche ich euch einen schönen feministischen Kampftag!
Meine liebsten starken Frauenfiguren sind Leia Organa (Star Wars), Sarah Connor (Terminator), Eowyn (Herr der Ringe), Lisbeth Salander (Millennium-Trilogie) und so ziemliche jede Frau aus Game of Thrones. Was sind eure liebsten Frauenfiguren?
In einem meiner nächsten Schreibtipps wird es um die authentische Darstellung der übrigen FLINTA*-Identitäten in Geschichten gehen. Möglicherweise wird auch eine Reihe daraus.
Brauchst du Hilfe beim Schreiben deiner Frauenfiguren? In meinen Schreibcoachings erhältst du wertvolle Tipps für die Umsetzung. Auch im Lektorat unterstütze ich dich bei der Erschaffung starker und unabhängiger Frauencharaktere.
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